Vom VIA Train zum Ghost Train

12. Februar, Erster Abend im Zug (nach gut 12 Std. Fahrt): Sitze im hintersten und schönsten Wagen (nicht nur wegen der Bar), siehe Foto, dort ist es sehr cosy. Draussen seit Stunden finstere Nacht – 3 andere Herren sitzen auch da, es ist erst nach 22 Uhr (last order um 23 Uhr) und bald wird die Zeit um eine Stunde zurückgestellt: wir kommen von Eastern Time nach Central Time.
Nach dem Dinner hab ich mich da hingesetzt, etwas gelesen, dann einen Film mit Heino Ferch gesehen (iPad mit Kopfhörer). Auch 2 Cognacs langsam genossen – wurden im gewärmten Glas serviert. Vor dem Dinner ein paar Stunden im Dome Car gesessen, manchmal etwas geplaudert und die spärliche Landschaft vorbeigleiten lassen. Fast keine Farben, bei bedecktem Himmel herrschen Grautöne vor – kommt allerdings die Sonne kurz durch, treten Farben wie magisch hervor. Lesen, dösen, schauen – und bei alledem, und das erscheint selbstverständlich und seltsam zugleich: es fährt und fährt unaufhörlich. All diese Tätigkeiten fanden fahrenderweise statt und dies seit jetzt mehr als 12 Stunden. Natürlich, dafür sind diese Kisten mit Rädern ja auch erfunden worden.
Aber der Gegensatz zum ‚normalen’ Leben drängt sich nur langsam ins Bewusstsein: sonst im Leben fährt man mal von x nach y, das dauert kürzer oder auch etwas länger, ist Teil eines Tagesablaufs, Teil eines Plans, ist meist auch Ruhezeit.
Aber hier: das Fahren ist essentieller Hintergrund der sonstigen LebensAktivitäten. Das ist irgenwie surreal. Fahren, bewegt werden und normale Tagesaktivitäten überlagern sich; das Fahren wird, wie der Herzschlag, zum wichtigen Hintergrund.
Dann aber, nach etwa 30 Std. Fahrt, fast von einem Herzschlag zum nächsten, noch während des Bewegtwerdens, wird ein Ende des Fahrens verkündet. Nun sei auch die Strecke westlich Winnipeg blockiert, überhaupt wird der Bahnverkehr landesweit zum Erliegen kommen: Güter und Personen gleichermassen sind betroffen. Die Ureinwohner schlagen zurück. Gut so.
14. Februar. Nun ist also Ende mit Fahren – der Zug steht nun seit 24 Std. hier im Bahnhof von Winnipeg. Hab gut geschlafen im stehenden Zug. Früh durch den Zug gelaufen zum Dining Car, kam mir vor wie ein Ghost train. Aber dann doch recht Leute gekommen, länger geplaudert mit dem Ehepaar, das nun heim geht und die Reise zu einem anderen Zeitpunkt wiederholt. Es gibt Infositzung im Dining Car, es werden Flüge besprochen, wer muss wohin, kompetente Bahnmanager kümmern sich darum. Noch nie haben sie sowas erlebt. Später: einige schon weg zum Airport, im Barwagen wird gelesen, es gibt Cupcakes und Kaffee. In der Zeitung steht, Blockade könne mehrere Tage dauern. Ich warte halt auch. Kann nochmals 2 mal übernachten im Zug, der nun eigentlich gar keiner mehr ist und dann muss auch ich den Rest der Strecke fliegen (erst 40% zurückgelegt).
Ein Ghost Train, es werden immer weniger Leute, fast wie in einem Krimi von Agathe Christie: dann warens nur noch 5. Es gibt noch Essen, die Bar ist offen, na ja. Draussen etwa minus 25 Grad Celcius, nichts für Stadtwanderungen.
Shit happens all the time. Stay cool and drink champagne. Check out YouTube Video at the end of this post.
Nachtrag, 15. Feb. 4 Uhr in der Früh. Es wurde mir gestern Abend gegen 21 Uhr beschieden, dass für mich auf dem 7 Uhr Flug nach Vancouver ein Platz reserviert sei. Ich müsse leider früh raus. Werde also den Ghost Train verlassen – nach bloss eineinhalb statt 4 Tagen Fahrt.


4 Gedanken zu „Vom VIA Train zum Ghost Train“
Herrlicher „Agathe-Christie-Krimi“, und das ewige Bewegtwerden teils selbstverständlich, teils surreal, sehr eindrücklich. Auch ich „stecke“ fest, in Asturien, zwischen Los Picos de Europa. Nicht wegen einer Panne, eher geistiger Natur, bin etwas Reisemüde, besonders wg der Kälte. Und es ist so schön hier, muss ich wirklich noch nach Portugal? Madeira habe ich innerlich abgeschrieben, die Kältestrecke bis April werde ich kaum schaffen (wollen). In limbo auch ich, aber nicht mit gewärmten Cognac, sondern mit „gelüftetem“ Sidre. Saludos, y vaya con dio.
Reisen wird doch immer ganz anders, wenn solch ungewöhnliche Ereignisse es abenteuerlich gestalten. Ich erlebe diese Zeiten immer viel intensiver und die Situationen bleiben auch lebendiger in der Erinnerung. Trotzdem hoffe ich für Dich, dass die Blockade bald beseitigt werden kann und Du mit dem Zug weiterreisen kannst.
Hoi Peter
Das ist ja eine Story!
Man kann es gut nachvollziehen: das Fahren – fahren – fahren – fahren – – – und plötzlich nicht mehr fahren.
Da prallen wie vor 200/300 Jahren Stammes- und Explorer-Interessen aufeinander.
Denkwürdig.
Gute Weiterreise mit positiven Überraschungsmomen-ten!
Manfred
Oh Peter Cognac in vorgewärmten Gläser so lässt sich eigentlich leben. Doch ein Zug der nicht rollt, da gibt es bessere Bars. Hoffe dein Flug war dann wenigstens ok, schade. Ihr habt zu kalt wir zu warm. Geniesse wenigstens die restliche Zeit mit viel Angenehmem und lass dir ja Ferienlaune nicht verderben. Ferienberichte sind besser als Krimis. Grüessli Heidy
Kommentare sind geschlossen.